Robert Habeck verlässt Twitter – Pro & Contra

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Darf man als Politiker Twitter verlassen? Das ist die Grundfrage, die hinter dem Rückzug von Grünen-Chef Robert Habeck steht. Die Antwort hängt wesentlich davon ab, wen man fragt.

Social Media Berater wie Thomas Knüwer sagen aus ihrer Sicht nachvollziehbar Nein. Journalisten wie Dirk von Gehlen, die zum großen Teil über Social Media kommunizieren und dort als Personenmarke unterwegs sind und den Traffic für die redaktionellen Seiten organisieren, sagen ebenfalls Nein. Und auch ein Politiker wie FDP-Chef Lindner, der die eigene Partei über soziale Medien widerbelebt hat, sagt nachvollziehbar Nein.

Politiker auf Twitter sind lebenswichtig für die täglichen News. Politiker selbst finden gerne medial statt. Donald Trump, Christian Lindner, Alice Weidel  – ohne sie auf Twitter gäbe es weniger Aufreger, weniger Reibung – und damit weniger Anlässe zur redaktionellen Berichterstattung. Das ist die moderne mediale Ökonomie, die durch soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook völlig neu definiert wurde.

Berater nehmen genau das als Beweis für die hohe Relevanz der Kanäle. So weit so gut. Es lohnt aber ein konkreter Blick auf die Argumente und das Pro und Contra für Harbecks Entscheidung. Anbei die wichtigsten:


1) Habeck verliert Reichweite

Pro: Ja, soziale Medien sind für Politiker reichweitenstarke Sendekanäle. Sie binden teilweise sechsstellige Nutzer, nahezu jeder politische Journalist folgt ihnen. Oftmals ist der Social Media Account der erste Weg in die Redaktionen. Ohne diese Accounts geht erstmal direkte Reichweite verloren, jeder andere Weg kostet mehr Aufwand. Der Traffic für die eigenen Botschaften muss woanders organisiert werden.

Contra: Robert Habeck kann seine Botschaften über diverse Accounts der Grünen verteilen (lassen). Es ist kaum davon auszugehen, dass er im Endeffekt eine wirklich signifikante Zahl an für ihn relevanten Nutzern nicht erreicht. Die politischen Redakteure folgen auch den Grünen. Und das ist am Ende das Ziel: Über das Einfallstor soziale Medien in die Redaktionen, die der Message dann erst die echte Reichweite geben. Das wiederum über die redaktionellen Social Media Accounts mit Millionen-Reichweiten.

Ergo: Reichweiten-Probleme bekommen weder Habeck noch die Grünen durch diesen Rückzug.


2) Er weicht dem Dialog aus und überlässt das Feld dem Gegner

Pro: Das ist sozusagen der USP von Twitter, Facebook & Co. Der direkte Dialog mit dem Nutzer, dem Bürger, dem Wähler. Indem Habeck sich persönlich verabschiedet, nimmt er sich diese moderne Chance der Kommunikation. Dies kann er auch nicht über Grünen-Accounts erledigen.

Contra: Es findet im Social Web im Prinzip kein argumentativer Austausch zwischen Politiker und Bürger statt. Es geht um Senden, um Zuspitzung, um in die Massenmedien zu kommen. Politiker sind täglichen Angriffen ausgesetzt, brauchen ein Team oder sehr viel Zeit und Willen, sich ständig in den Sturm zu stellen. Es kommt letztlich aber so gut wie nie zu einer Annäherung. Es geht immer nur um Resonanzverstärkung.

Ergo: Ja, Robert Habeck nimmt sich eine wichtige Möglichkeit der Positionierung und der modernen politischen Kommunikation. Diese ist nicht vollends zu ersetzen. Echten Dialog würgt er aber nicht ab, den gäbe es auch mit ihm nicht.


3) Das Problem ist nicht das Medium, sondern der Nutzer selbst.

Pro: Natürlich kann auch in sozialen Netzwerken nur stehen, was Menschen dort hineingeschrieben (oder programmiert) haben. Das gilt auch für Robert Habeck. Der Ursprung für die Kritik ist sein Video, nicht Twitter oder Facebook. Es muss Teil von professioneller politischer Kommunikation sein, mit diesen Kanälen umzugehen. Wer das gut kann, der hat auch weniger Probleme.

Contra: Soziale Netzwerke leben von der Aufmerksamkeitsökonomie, wie eigentlich alle Medien. In dieser Hochgeschwindigkeits-Ökonomie gewinnt im Regelfall nicht die Geschichte mit der meisten Substanz oder der größtmöglichen Differenzierung, sondern es siegt die stärkste Headline. Kontroversen, Zuspitzung bis hin zur Provokation zeichnen heute die politische Kommunikation auf Twitter aus. Wer kommunikative Ziele erreichen möchte, wer Reichweite und Resonanz erzielen möchte, der muss das Spiel nach den Regeln der Plattformen spielen. Genau das hat Einfluss auf die Kommunikation bzw. auf den Absender. Und nichts anderes sagt Robert Habeck in seinem Statement.

Ergo: Wer kommunikative Ziele erreichen will, muss zuspitzen. Wer sich dagegen entscheidet, kann auch die Hände von Twitter & Co. lassen, da die Resonanz massiv sinkt.


Zusammenfassende Bewertung:

Robert Habeck hat mit seinem Rückzug eine wichtige Debatte angestoßen. Diese gilt übrigens auch für hochrangige Firmenvertreter wie CEOs – gerade dann, wenn sie sich politisch äußern. Braucht es wirklich den persönlichen Account, um die Effekte sozialer Medien zu nutzen? Oder lassen sich diese über eigene Plattformen wie Habecks Blog und dann zentrale Accounts (Partei-Accounts der Grünen) ebenso erreichen?

Ich sage ja. Habeck wird so gut wie keinen relevanten Menschen weniger erreichen. Er kann sich selbst auf substanzielle Aufarbeitung von Inhalten konzentrieren. Er bildet auch einen gewissen Kontrast durch Abstinenz. Angela Merkel hat keinen Twitter-Account, Jürgen Klopp ist selbst gar nicht in sozialen Netzwerken aktiv. Beide haben mit die höchsten Vertrauenswerte und sind mediales Dauerthema. Sie gefährden ihre Reputation nicht durch tägliche Skandälchen.

Man schaue auch mal, wie social die großen digitalen Plattform-Betreiber selbst sind. Amazon, Apple, Facebook, Twitter – alle sehr zurückhaltend in der Kommunikation, teilweise gar kein Dialog. Und dennoch täglich im Gespräch. Weil die Produkte die PR machen. Die Social Kommunikation überlässt man den Stakeholdern. Das entscheidende ist die eigene Plattform. Da sollen die Nutzer hin. Da wird das Geschäft gemacht.

Habecks Schritt ist spannend und ein Comeback sicher nicht ausgeschlossen. Die Diskussion geht aber über ihn hinaus und sollte differenziert und nicht religiös geführt werden.

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