Haltungsübung: Was Unternehmen vom Fall Siemens lernen können

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Haltung. Eines der vermutlich meistgenutzten Wörter 2019 im Social Web rund um Unternehmen. Diese sollen ihrer Verantwortung gerecht werden, Farbe bekennen. Bei Integration, bei Gleichberechtigung, beim Klima. Klingt gut und richtig.

Siemens‘ CEO Joe Kaeser hat in den letzten zwei Jahren dadurch eine erhöhte Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erreicht, dass er auf Twitter zu gesellschaftlichen und politischen Themen direkt Stellung nahm. Dabei hat er klar Position bezogen, was ihm viel Applaus einbrachte.

Aktuell steht Siemens unter Druck, weil der Konzern am Neubau des Kohlekraftwerks des indischen Betreibers Adani in Australien beteiligt ist. Australische Klimaaktivisten, Fridays for Future und auch Greta Thunberg haben von Siemens öffentlich den Rückzug von diesem Auftrag gefordert.

Nun ist eine Kritik an der AfD zu Integrationsfragen inhaltlich erst einmal recht weit weg von der Klimadiskussion. Im Social Web aber mischen sich diese Themen, weil bestimmte Positionen politischen Lagern zugerechnet werden. Eine Kritik an der AfD heißt in der Logik vieler eben auch offensiver Klimaschutz. Damit steht der Siemens CEO und damit sein gesamtes Unternehmen im Zentrum dieser Diskussionen, mindestens aber hat Joe Kaeser Siemens damit überhaupt erstmal auf diese Bühne gebracht.


Nachhaltigkeit und Verantwortung. Ist das neu?

In der Tat suchen immer mehr Unternehmen nach Wegen, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Dies übrigens nicht erst seit gestern. Corporate Social Responsibility (CSR) ist seit Jahren Teil des Marketings von Großunternehmen. Nachhaltigkeit ist für viele Unternehmen übrigens keine Kür sondern Pflicht. Mittlerweile müssen börsennotierte Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern CSR-Berichte veröffentlichen. Dies erhöht den Druck von Seiten des Gesetzgebers. Dabei geht es um Informationen zu Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelangen sowie die Achtung der Menschenrechte und die Bekämpfung von Korruption und Bestechung. (Quelle: https://www.csr-in-deutschland.de/DE/Politik/CSR-national/Aktivitaeten-der-Bundesregierung/CSR-Berichtspflichten/csr-berichtspflichten.html)


Katalysator Social Web

Das Social Web wirkt bei diesem Thema wie ein Katalysator. Zum einen wird dadurch nahezu alles transparent. Gleichzeitig haben es Unternehmen neben den klassischen Medien mit weiteren starken Interessengruppen zu tun, die über ihre Organisation hinaus eine breite Anhängerschaft aktivieren können. Fridays for Future ist das beste Beispiel dafür. Speziell Twitter nimmt hier eine Schlüsselrolle ein, da die Kommunikation dieser Gruppen direkte Verbindung zu Massenmedien hat und somit sehr schnell Millionen-Publikum erreicht. Ganz schnell sind Tipping Points erreicht – sprich aus einem Tweet von Luisa Neubauer wird am gleichen Tag ein nationales massenmediales Thema.

Diese Dynamiken müssen Unternehmen verstehen. Früher war Greenpeace die größte „Bedrohung“ von Unternehmen. Heute treten Greta Thunberg und #FFF in diese Fußstapfen. Nur dass die Frequenz der Empörung zugenommen hat und nicht mehr nur die ganz Großen trifft, wie es Greenpace mit seinem Campaigning immer gezielt anlegte.

Wie sollen Unternehmen darauf reagieren? Die Chancen von „Haltungs-Kommunikation“ liegen auf der Hand. Die Resonanz auf diese Themen ist groß, Unternehmen können Relevanz aufbauen und letztlich auch konkrete Gründe liefern, warum man ihre Services oder Produkte anderen vorzieht. Patagonia ist vermutlich das beste Beispiel hierfür. Hier sind Umweltschutz und Nachhaltigkeit quasi DNA. Erst 2018 hat Patagonia die Mehreinnahmen aus Trumps Steuerreform für Proteste verwendet. Es ist klar: Wenn mir als Kunde die Haltung eines Unternehmens so wichtig ist, dann werde ich mein Geld genau dort ausgeben. Auf der Basis kann Patagonia auch sehr offensiv kommunizieren.


Boomerang für Siemens

Nur können andere Unternehmen solche Versprechen halten? Können sie diese Haltung beweisen? Siemens kommt genau an diesem Punkt in die Bredouille. Und das, ohne in Sachen Umwelt zu viel versprochen zu haben. Dennoch ist die Erwartungshaltung gegenüber Siemens durch Joe Kaesers Kommunikation besonders hoch. Und damit wird Siemens stärker beobachtet als andere Marktteilnehmer. Natürlich tun die besondere Stellung von Siemens in Deutschland und global und die Buschbrände in Australien ihr übriges.

Siemens sieht sich mit der Erwartungshaltung konfrontiert, auf wirtschaftlich interessante Geschäfte zugunsten des Klimas zu verzichten, sogar laufende Verträge aufzukündigen.

Aber kann es sich ein globales Unternehmen wie Siemens leisten, vertragsbrüchig zu werden? Was würde dies für zukünftige Geschäfte der Siemens Energy bedeuten, die demnächst ausgegliedert und an die Börse gebracht werden soll? Würden potenzielle Auftraggeber nicht skeptisch, dass Siemens beim ersten Protest Verträge aufkündigt? Darf man so erpressbar werden, kann ein Unternehmen wie Siemens so agieren oder gefährdet es seine internationale Stellung damit nicht ganz enorm? Die Antworten liegen auf der Hand. Deshalb kann Siemens den Deal mit Adani nach meiner Einschätzung gar nicht kippen, selbst wenn man auf die Einnahmen leicht verzichten könnte. Das Zeichen an den Markt wäre hochproblematisch. Diejenigen, die applaudieren würden, sind nicht die Kunden von Siemens Energy.

Joe Kaeser hat Luisa Neubauer einen Sitz im dann neuen Aufsichtsrat der Siemens Energy angeboten. Guter Schachzug, ebenso wie der von Luisa Neubauer, die erwartungsgemäß nicht annahm und dafür den Platz an einen Wissenschaftler abtreten wollte. Dies hat Joe Kaeser abgelehnt. Gleichzeitig machte er deutlich, wie Siemens zukünftig mit solchen Themen umgehen möchte:

„Generally, and as a consequence of this issue, we will for the first time in Siemens history establish a Sustainability Committee with external members to give environmental concerns even more priority and attention in the future. I will also open the doors to the youth, and the concerns young people have taken to the streets around the world, to sit at the table. This committee will have the power to stop and escalate projects of critical nature to sustainability, no matter whether we are directly or indirectly participating, like in the current example, with our rail infrastructure.“

(Link https://press.siemens.com/global/en/news/joe-kaeser-adani-carmichael-project)

Der ersten Resonanz nach  zu urteilen besänftigt dies die Kritiker aber nicht. Fridays for Future hat spontane Demos gegen Siemens angekündigt.

Auch in Australien wird gegen Siemens demonstriert. Man kann also zusammenfassen: Siemens hat eine weltweite PR- bzw. Reputationskrise.


Social CEO – gute Idee?

Uhr hier schlägt in meinen Augen etwas zusätzlich zurück. Es gab in den letzten beiden Jahren eine starke Diskussion darüber, ob CEOs auf Twitter oder LinkedIn persönlich in die Kommunikation einsteigen sollten. Befürworter sehen dies als Selbstverständlichkeit. Kritiker mahnten an, dass CEOs im Kern andere Aufgaben zu erledigen haben.

Unabhängig, wie man dazu steht, bleibt festzuhalten: Vorstandvorsitzende sind auf Zeit berufen. Sie sind zu allererst ihren Aktionären verpflichtet. Diese Interessen müssen mit den persönlichen Überzeugungen des CEOs aber nicht deckungsgleich sein. So sehr dieser persönlich Position beziehen und überzeugen mag, so sehr sind ihm bei Unternehmensentscheidungen die Hände gebunden bzw. er hat sich an seinen Shareholdern zu orientieren.

Ich meine von daher, dass gerade CEOs – aber auch Unternehmen allgemein – das ganze vom Ende her denken müssen. Haltung als Marketing-Story ist zu wenig und birgt enorme Risiken. Können Unternehmen ihre Haltung nicht beweisen, droht der Boomerang und damit massiver Reputationsverlust. Dies sollten auch CEOs in ihrer Kommunikation im Social Web bedenken. So schön und gut eine positive Haltung zu den wichtigen Fragen unserer Zeit klingt, so ernst wird sie auch genommen und überprüft. Wer hier mehr verspricht, als er halten kann, geht ins kommunikative Risiko.


Offensive oder Rückzug?

Was bedeutet dies nun für Unternehmen und Marken? Keine Haltung mehr? Doch! Aber alle müssen verstehen, dass sich die junge und sehr kritische Generation gerade in Umweltfragen nicht blenden lässt. Haltung als Marketing wird nicht reichen. Ich gehe fest davon aus, dass der Fall Siemens – egal wie er ausgeht – die Blaupause ist für viele weitere vergleichbare Fälle.

Die weltweit vernetzten Klimaaktivisten mit Millionenreichweite haben verstanden, welche Macht sie in der Hand halten. Und sie lassen sich nicht zufriedenstellen mit PR-Sprech.

Ergo: Unternehmen müssen substanziell und im Geschäft Veränderungen herbeiführen. Wenn ich offensiv kommuniziere, weniger Plastik zu produzieren, dann muss ich als Unternehmen glaubhaft vermitteln können, dass ich dies konsequent tue.

In solchen Fällen droht bei allem Commitment dennoch die Gefahr, dass es zu wenig ist. Greta Thurnberg und Fridays for Future sind kompromisslos. Die Zeit der Geduld scheint vorbei. Unternehmen könnten sich, um beim Beispiel zu bleiben, also plötzlich auch mit der Forderung „Zero Plastic“ konfrontiert sehen. Aktuell geht alles auf CO2, aber niemand sagt, dass dies das einzige Thema bleibt.

Grundsätzlich halte ich den von Siemens eingeschlagenen Weg, Klimaaktivisten und Wissenschaftler stärker einzubeziehen in geschäftliche Entscheidungen, für richtig. Dies würde auch meiner zentralen Forderung folgen, dass sich die Interessengruppen im Sinne von Lösungen konstruktiv zusammentun müssen.

Es bleibt aber dabei: Weniger versprechen, mehr tun – das scheint das Gebot der Stunde, sonst droht massiver Reputationsverlust.

Linktipp: Timo Lommatzsch zum Jahr der Konflikte und Konsequenzen für Organisationen

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Comments
  • Marie-Christine Schindler
    Antworten

    Danke für diese gute Analyse. Für mich stellt sich die Frage nach der Relevanz der Aufruhr auf Twitter und Co. und ich will da nichts herunterspielen, ich bewege mich ja selber viel und gern auf diesem Plattformen. Allerdings handelt sich hier klar um eine Bubble und es stellst dich die Frage, inwieweit die Aufruhr zu Siemens dauerhaft und in einem über Social Media hinausreichenden Kreis wahrnehmbar ist. Ich verstehe die Klimabewegung und bin der Meinung, dass es sie braucht. Allerdings blendet sie in ihrem kompromisslosen Aktivismus die Komplexität, auf die ihre Forderungen stossen, allzusehr aus. Der Approach von Siemens halte ich in diesem Zusammenhang fast schon für agil.

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