Gesund in Corona-Zeiten: Über Symbolik, Gerechtigkeit und Freiheit.

 In Allgemein

Lockdown. Kontaktreduktion. Risikominimierung. Das sind die Schlagworte der letzten Monate. Das ganze Land ächzt unter der Corona-Pandemie. Die Infektions- und Todeszahlen sind nicht da, wo wir alle sie gerne hätten. Damit wird zunehmend die Frage gestellt, wer daran eigentlich Schuld ist.

Die Politik? Corona-Leugner? Unvernünftige Sportler? Kinder? Niemand weiß es, weil die Kontaktnachverfolgung nicht funktioniert. Wir tappen ziemlich im Dunkeln.

Bevor ich in einige Aspekte einsteige, möchte ich eine grundsätzliche Vorbemerkung machen: Ich habe größten Respekt vor allen politischen Entscheider:innen. In einer solchen Lage kann man nicht allen gerecht werden. Ich unterstelle allen, nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln. Dies trifft aber ebenso auf die allermeisten Menschen in diesem Land zu. Ich werde hier also keine Vorwürfe an bestimmte Gruppen machen – die echten Verharmloser mal außen vorgelassen.

Seit dem Beginn der Pandemie lese ich aber genau solche Vorwürfe täglich. Schuld sind immer die anderen. Wer genau, wird nicht gesagt, man weiß es ja auch nicht. Von daher möchte ich ein paar Dinge beleuchten, die meiner Meinung nach wichtig sind. Ich werde dabei immer mal wieder Bezüge zu unserer Familie herstellen.


Corona ist ernst.

Für mich ist völlig unstrittig, dass von Corona eine große Gefahr für die Gesundheit ausgeht. Ich habe im familiären Umfeld Menschen, die infiziert waren, teilweise mit Long Covid Symptomatik. Ich verstehe die Angst vieler Menschen vor diesem Virus. Jede Infektion ist eine zu viel, jeder Todesfall sowieso. Wer heute noch von Grippe redet, hat sich von der Realität entkoppelt. Wer sich darüber lustig macht, teilweise durch die Straßen tanzt, spuckt den Menschen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen ins Gesicht und verhöhnt die Opfer. Da gibt es nichts zu relativieren.

Ich versuche, meinen Beitrag zu leisten. Meine Mitarbeiter:innen sind seit Frühjahr 2020 fast durchgängig im Home Office. Ich habe zuhause Schnelltests und reichlich FFP2 Masken. Meine Kontakte reduziere ich aufs allernötigste.


Risikoabwägung.

Dennoch ist auch Corona ein Thema für die Risikoabwägung. Das Leben besteht nicht nur aus der Infektionsgefahr, so hoch diese auch sein mag. Soziale, materielle Aspekte müssen eine Rolle spielen. Klar ist, dass unterschiedliche Menschen die Risiken unterschiedlich bewerten, je nach Lebenssituation. Eine junge, gesunde Unternehmerin wird das Risiko einer Erkrankung möglicherweise anders einschätzen als ein 70jähriger Rentner. Während letzterer per se stärker mit der eigenen Gesundheit befasst ist, kümmert sich die Unternehmerin auch gedanklich stärker ums Geschäft, um die Existenz für die Familie. Sie wird also ein relevantes Risiko auch darin sehen, dass das Geschäft nicht überlebt, sie ihren Kindern nicht das bieten kann, was sie sich vorstellt. Dies ließe sich fortführen für Angestellte, Beamte, Spitzensportler:innen, etc. Unterschiedliche Lebenssituationen = unterschiedliche Risikobewertung.

Es ist klar, dass damit auch eine unterschiedliche Akzeptanz für die Interventionen einhergeht. Gar nicht grundsätzlich, sondern bezogen auf einzelne Maßnahmen. Wer nicht feiert, kann leicht Feiern verbieten. Wer kein Geschäft hat, kann leicht Einzelhand schließen. Wer keine Kinder hat, kann leicht KiTa und Schule schließen.


Kinder.

Ich denke, bei Kindern wird es besonders deutlich. Alle Eltern wollen das Beste für Ihre Kinder. Sie wissen, dass neben dem Infektionsrisiko das Lernen in der Schule, der Kontakt zu Gleichaltrigen, aktive Bewegung sehr wichtig sind für eine gute Entwicklung. Ich selbst habe 3 Kinder zwischen 5 und 10 Jahren. Ich lese viel zum Infektionsgeschehen in dem Alter, aber auch zur Wichtigkeit von Schule und sozialer Einbindung. Es ist aktuell nicht möglich, den Kindern auf all diesen Ebenen – die alle für sich enorm wichtig sind – gerecht zu werden. Das Leben ist im Moment ein einziger großer Kompromiss.

Während wir im Frühjahr und Herbst unsere Kinder guten Gewissens in Schule und KiTa gelassen haben, betreuen wir unsere beiden Grundschüler nun komplett im Homeschooling. Wir vermeiden die Notbetreuung nur aus einem Grund: Die auftauchenden Mutationen und erste Analysen machen uns unsicher, was das Risiko in der Altersgruppe angeht. In der Notbetreuung ist die Menge an Kontakten so hoch, dass wir das Gesundheitsrisiko höher gewichten als die benannten sozialen Folgen. Bei unserem Jüngsten aber entscheiden wir anders: Ihn geben wir in die Notbetreuung der KiTa, weil es unseren beiden Größeren nicht möglich ist, zuhause zu lernen, während der Kleinste da ist. Zudem sehen wir, wie schwierig es für den Kleinen ist, ohne gleichaltrige Freunde in der Kita. Hier gewichten wir die Negativfolgen insgesamt höher als das Infektionsrisiko. Ich gehe davon aus, dass andere Eltern das anders bewerten. Ist für mich völlig ok.

Es ist eine Abwägung, ein Kompromiss. Nicht perfekt. Für uns aber vertretbar und so die bestmögliche Lösung.


Sport und Bewegung.

Die dauernde Homeschooling Situation bringt uns ständig an unsere Grenzen. Meine Frau und ich arbeiten beide, weil wir dem materiellen Druck mit drei Kindern in der Region München gerecht werden müssen. Dies ist im Prinzip alternativlos.

Diese dauernde Drucksituation einer im Prinzip isolierten Familie müssen wir punktuell entfliehen. Und mit „wir“ meine ich Eltern wie Kinder. In meinem Fall ist das Sport. Zum Großteil auf der Fahrradrolle im Keller. Teilweise renne ich durch den Wald. Aktuell bei Schnee gehe ich auf die Langläufer.

Mit den Kindern sind wir momentan viel beim Rodeln direkt bei uns am Ort. Man merkt, wie groß der Bedarf ist. Ich habe letztens in einem Clubhouse Talk von einem Verbandsvertreter gehört, dass der Anteil an Sport für Kinder während der Pandemie um ca. 50% zurückgegangen ist. Man geht davon aus, dass die Sportvereine 10% der Kinder bereits verloren haben. Die kommen schlichtweg nicht mehr zurück. Ich halte das für dramatisch.

Und auch hier sind wir wieder bei Abwägung. Ich bin der Meinung, man kann radfahren, joggen, langlaufen und rodeln, wenn man sich denn nur entsprechend verhält. Alpines Skifahren, Schwimmbad & Co. hielte ich dagegen wieder für zu gefährlich.


Der Rodelhang.

Es geht nicht um Winterberg. Aber es geht um Polizei am Rodelhang. Fotos von rodelnden Kindern in sozialen Medien mit der entsprechenden Aufregung. Ich habe damit große Probleme. Für Kinder ist das Schlittenfahren etwas völlig unproblematisches, etwas unbeschwertes. Kinder an sich sind in dieser Pandemie unbeteiligt. Sie können nichts entscheiden, für und über sie wird entschieden. Sie sind gleichzeitig aber diejenigen, die am meisten leiden. Mit Blick auf viele Diskussionen habe ich den Eindruck, einige Erwachsene haben ihren Kinderblick verloren. Kinder werden zu Maschinen bzw. es wird von Eltern verlangt, sie so zu behandeln.

Hier möchte ich entschieden intervenieren. Ich denke, viele begreifen nicht, welche Nachteile für Kinder aus dieser monatelangen Situation entstehen. Man muss das in meinen Augen berücksichtigen. Ich muss als Vater sowohl das Infektionsrisiko als auch andere Negativfolgen berücksichtigen, wenn ich das beste für meine Kinder will. Das kann dazu führen, dass ich sie nicht in die Schule gebe, dafür aber das Rodeln für gut halte. Denn am Ende zählt für die Gesamtrechnung: Was ist vertretbar? Was hat insgesamt möglichst die geringsten Negativeffekte.


Symbolik und Gerechtigkeit.

In diesem Zuge möchte ich etwas zur ab und an zitierten Symbolik sagen. Ich verstehe, dass Kinder an einem Rodelhang ein Bild erzeugen, welches nahelegt, dass man sich nicht oder wenig an Kontaktbeschränkungen hält. Ebenso wie Profifußball das Gefühl vermittelt, dass eine Elite etwas darf und andere nicht.

Wir sprechen hier aber nach wie vor über massive Eingriffe in Bürger- und Freiheitsrechte. Es geht nicht darum, dass die Politik bestimmten Menschen etwas erlaubt. Es geht darum, dass die Politik bestimmten Menschen unter bestimmten Bedingungen gewisse Dinge nicht mehr verbietet. Das ist ein großer Unterschied.

Ausgehend von dieser Sichtweise bin ich dafür, dass Menschen in Gebieten mit niedriger Inzidenz mehr dürfen als in Gebieten mit hoher. Ich meine, dass Geimpften weniger verboten werden sollte als Nicht-Geimpften. Ich glaube, dass Profifußballer mit einer hohen Testdichte ihrem Berufssport nachgehen können, ich es der breiten Masse aber gleichzeitig untersagen kann.

Hier hilft Symbolik nicht. Der Wunsch nach Gerechtigkeit wäre in dieser Pandemie gleichbedeutend mit Gleichmacherei. Und damit mit Freiheitsverlust für uns alle. Das mögen dann viele als gerecht empfinden, aber um den Preis der Freiheit. Von daher werbe ich dafür, der Symbolik keine allzu große Bedeutung zu schenken sondern im Detail zu schauen, was wirklich problematisch ist.


Politische Rhetorik.

Ich sehe mit großer Sorge, welche Rhetorik teilweise von politischer Seite aufgebaut wird, gerade in Bayern. Ende letzten Jahres drohte Markus Söder mit „einsamen Weihnachten“. Dann ist von verschärften Kontrollen die Rede. Davon, dass „wir“ nicht genug tun. Nur wer genau nicht genug tut, wer das Infektionsgeschehen treibt, das weiß niemand. Von daher wird die Schrotflinte rausgeholt und mit „Kontaktreduktion“ ziemlich wild herumgeschossen. Keine Differenzierung, keine Begründung, keine Kreativität.

Dies erhöht den Druck auf die Bevölkerung massiv. Und diese äußert sich in Denunziationen oder Ungehorsam. Beides nicht hilfreich. Gesellschaftlich bricht da etwas auseinander. Ich würde mir hier von politischer Seite wesentlich mehr Integrierendes, Motivierendes wünschen. Scheinbar sind Markus Söder & Co. aber der Überzeugung, dass man den Menschen über Angst und Drohung besser beikommt. Mir als Liberalem dreht sich da der Magen rum, so sehr ich auch die Intention verstehe, den Ernst der Lage immer wieder klarmachen zu wollen.


Verantwortung und Freiheit.

Am Ende geht es nur mit Verantwortung. Vor allem mit Eigenverantwortung. Ich wünsche mir, dass wir viel weniger über die anderen reden, die etwas falsch machen, die Schuld sind, als vielmehr auf uns selbst schauen und uns möglichst verantwortlich verhalten. Für uns selbst, aber auch für Gesellschaft insgesamt.

Denn eines steht auf dem Spiel: Die Freiheit. Diese fängt im Kopf an. Wenn wir anfangen, anderen ihre Freiheiten abzusprechen, weil wir es für gerecht halten, dann haben wir alle verloren. Für mich liegt der Schlüssel darin, mit größtmöglicher Eigenverantwortung selbst einen Beitrag zu leisten, dass möglichst alle bald wieder freier leben können. Das betrifft zukünftig auch die Impfungen.

Mit dieser Sichtweise ist es möglich, Kinder nicht in die Schule zu schicken, wohl aber in die KiTa. Mit dieser Einstellung ist es möglich, auf den Rodelhang oder die Loipe zu gehen, nicht aber an den Skilift. Mit dieser Einstellung ist es zukünftig möglich, geimpften Menschen ihre Freiheiten zu gönnen, auch wenn ich darauf noch warten muss. Ich mag das nicht als gerecht empfinden. Mir ist die persönliche Freiheit eines jeden einzelnen aber wichtiger. Das sollte unser Antrieb sein. Ansonsten bleibt zu viel auf Strecke.

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