Liberalismus am Scheideweg – 5 Punkte für eine Standortbestimmung

 In Allgemein

Vorweg: Ich bin FDP-Mitglied und meine folgenden Einschätzungen richten sich somit vorwiegend an meine Partei. Gleichzeitig meine ich damit aber auch alle, die sich selbst für liberal oder zumindest den Liberalismus für eine gute Idee halten.

Diese liberale Idee läuft Gefahr, unter die Räder zu kommen. In der Weltpolitik gewinnt Populismus an Bedeutung. In der Medienwelt regieren Zuspitzung und Polemik. Der Klimawandel wird zum bestimmenden weltweiten Faktor. Ich sehe zumindest in Deutschland aktuell keine politische Kraft, die sich dem Liberalismus komplett und überzeugend verschreibt. Und ich erlebe auch immer weniger Menschen, die ich als wirklich liberal wahrnehme – wohlwissend, dass dies ein sehr dehnbarer Begriff ist.

Vielleicht macht es Sinn, sich an dieser Stelle kurz vom ideologischen Begriff des Liberalismus zu lösen und ihn mit Schlagworten zu beschreiben. Diese könnten sein: Mitte, Offenheit, Toleranz, Selbstbestimmung, Freiheit, Eigenverantwortung, Optimismus.

 

1. Liberalismus konkret

Für mich ist wichtig bei Menschen, die sich als liberal bezeichnen, was sie tun und von sich geben. Halten sich Politiker bei aller Pointierung an liberale Standards? Dringen die Markenwerte durch oder geht es vor dem Hintergrund der eigenen politischen Agenda um interessensgeleitete Politik. Liberale Politik sollte den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Sie muss der Entfaltung der individuellen Möglichkeiten dienen.

Beispiel Automobilindustrie: Es ist ein schmaler Grat zwischen der Vertretung der Interessen von Millionen Autofahrern und der Vertretung der Interessen der deutschen Autoindustrie. Beides schließt sich nicht in jedem Punkt gegenseitig aus. Aber es ist auch nicht dasselbe. Entsteht der Eindruck, dass liberale Politik Wirtschaftsinteressen vor die Interessen der Bürger stellt, dann gerät der Liberalismus in ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Dies ist in meinen Augen eines der größten Probleme von liberaler Politik: Sie wird fast ausschließlich als wirtschaftsliberal beschrieben – und leider von den wichtigen Akteuren selbst auch so positioniert. Diese Positionierung ist allein deshalb problematisch, weil sie letztlich elitär ist. Eine sozialliberale Positionierung dagegen würde sich stärker denen zuwenden, die bisher nicht Gewinner sind, dies unter bestimmten Bedingungen aber sein könnten. Thema Chancen.

Die FDP hat selbst im letzten Bundestagswahlkampf die Erfahrung gemacht, dass allein das Thema Bildung, modern angepackt, Menschen bindet. Für mich ein guter Showcase, welches Potenzial die liberale Idee besitzt, welches aber aktuell nicht abgerufen wird, weil es an klar akzentuierter Themensetzung fehlt. Die liberale Idee allein ist zu abstrakt. Sie bindet die ideologisch Überzeugten, nicht aber Menschen, die ihre Wahlentscheidungen von konkreter Programmatik abhängig machen. Diese (zumindest öffentlich wahrnehmbare) Programmatik wiederum sollte sich nicht auf den Diesel oder Steuerpolitik beschränken, um es an dieser Stelle etwas zuzuspitzen.

 

2. Liberalismus in der Positiverzählung

Vielmehr braucht es Liberalismus in der Positiverzählung. Für mich kämen hier Marke und Kommunikation zusammen. Liberalismus ist Optimismus, setzt auf Chancen und die Zukunft. Und hier sind wir beim Knackpunkt: In meiner Wahrnehmung verwechseln viele Liberalismus mit dem Festhalten an alten Gewissheiten. Liberalismus aber sollte progressiv sein. So sehr man bedauern mag, dass sich Dinge auf der Welt ändern, so sehr muss liberale Politik darauf reagieren – und dies in der Positiverzählung.

Digitalisierung bietet Chancen. Für neue Arbeitsplätze, für Wachstum, für ein besseres Leben. Klimapolitik bietet diese Chance aber ebenso. Hier bestünde für die FDP auch die Chance zur Abgrenzung von den Grünen. An Umweltthemen führt bei der nächsten Bundestagswahl kein Weg vorbei. Die FDP muss sich entscheiden: Möchte sie ein Angebot machen an diejenigen, die nichts ändern wollen und hoffen, dass es für sie alles so bleibt wie es ist? Oder möchte sie den Weg in die Zukunft weisen? Optimistisch, mit konstruktiven Vorschlägen, die den Standort Deutschland sichern, aber auch das Leben unserer Kinder und Enkel?

Oder kurz: Ist „German Mut“ nur ein Slogan oder echtes Programm? 

 

3. Liberalismus und Umwelt

Das Umweltthema wird mittel- und langfristig über das Überleben der liberalen Idee entscheiden. Schon jetzt ist spürbar, dass die Geduld für Kompromisse immer direkteren und radikaleren Forderungen weicht. Die Zeit scheint davon zu rennen. Australien ist aktuell nur ein Beispiel, weitere werden in immer kürzeren. Abständen folgen.

Vertreter der liberalen Idee müssen einen Plan entwerfen, wie Liberalismus in dieser Gemengelage überleben kann bzw. wie Liberalismus aktiver Treiber einer vernünftigen Umweltpolitik sein kann. Dabei geht es nicht nur um Details wie Emissionshandel o.ä. – es geht um das große Bild. Es geht um eine grundsätzliche Position liberaler Politik zum Klima.

Vor diesem Hintergrund muss hinterfragt werden, ob Verbote bzw. staatliche Regulierung weiterhin dogmatisch abgelehnt werden können. Keine leichte Aufgabe für liberal eingestellte Menschen, zu denen ich mich auch zähle. Ich mag Verbote nicht, bin ein Fan von Eigenverantwortung. Und dennoch sehe ich rückblickend kein Problem darin, dass das Rauchen in Büros oder Gaststätten verboten wurde. Es sind mit Blick auf die Umwelt sicher viele Regulierungen denkbar, die einen sehr überschaubaren Einschnitt bedeuten würden und wohl eher etwas Komfort als gleich ganze Freiheit kosten.

 

4. Liberalismus und Medien

Die vor allem digitalen medialen Entwicklungen bedeuten ein weiteres Risiko für den Liberalismus. Das Social Web lebt von Zuspitzung, frühere Gatekeeper verlieren ihr Informationsmonopol. Medien unterwerfen sich zunehmend den Empörungsmechanismen. Relevanz bekommt, was zuspitzt. Die Folge sind Polemik und Schwarz-Weiß-Denke. Gift für die liberale Idee.

Es gibt zwei Möglichkeiten, in der politischen Kommunikation mit diesen Entwicklungen umzugehen: Mitmachen oder Kontrast. Gerade forderte der von mir geschätzte Wolfgang Kubicki, dass junge FDP-Politiker auch mal hart in die Auseinandersetzung gehen müssten. Das würde ich unterschreiben. Mut in der politischen Debatte ist wichtig, zu viel Feinschliff kostet manchmal Klarheit.

Entscheidend aber ist, was ich eingangs schrieb: Die Message! Liberale Menschen sollen und müssen ihre Überzeugung vehement artikulieren und verteidigen. Sie müssen aber gleichzeitig auch Gehör haben für die Gegenseite und was viel wichtiger ist, Argumente in die Debatte bringen. Die FDP hat das in der Kampagne zur letzten Bundestagswahl alles wirklich gut hinbekommen. Aber es war eben eine Kampagne. Was ihr nicht gelungen ist, dies zu konservieren und nachhaltig durchzukommunizieren. Das hat Glaubwürdigkeit gekostet, auch wenn man sich heute über 8-10% Zustimmungswerte in Umfragen freut. Beim radikalen Bedeutungsverlust von CDU und SPD und dem gleichzeitigen Aufstreben der AfD ist das viel zu wenig.

Die Grünen zeigen, wie optimistische Kommunikation im relevanten gesellschaftlichen Kontext einschlagen kann. Will die FDP nicht selbst bedeutungslos werden, braucht sie darauf Antworten. Und zwar möglichst schnell.

Von daher würde ich die FDP dabei unterstützen, sich zur Speerspitze für Themen wie Datenschutz oder den Kampf gegen Hatespeech zu machen. Ich würde ihr aber gleichzeitig empfehlen, verbal in Sachen öffentlich-rechtlicher Rundfunk abzurüsten. Forderungen nach Veränderung sind legitim und inhaltlich geboten. Manche Äußerungen aber müssen eher wie der Wunsch nach Abschaffung verstanden werden, so als wäre der Ö/R ein Feind, der bekämpft werden müsse. Ich persönlich halte die Grundidee des Ö/R aber gerade in der heutigen Zeit für lebenswichtig für unsere Demokratie. Es braucht wirtschaftliche Unabhängigkeit und breite Reichweite in der politischen Berichterstattung und bei Gesellschaftsthemen.

 

5. Liberales Personal

Wie immer in der Politik hängt dies ganz wesentlich am Personal. Ich bewundere Christian Lindner für seinen Mut, sein rhetorisches Talent, seine Selbstüberzeugung. Jede Partei kann sich froh schätzen, einen solchen Frontmann zu haben. Aber eine One-Man-Show kann die liberale Politik nicht allein an die Leute bringen. Personen verkörpern immer nur einen Ausschnitt politischer Programmatik. Gewisse Dinge glaubt man ihnen, andere nicht. Deshalb ist es entscheidend, mehrere starke Leuchttürme zu haben, die der eigenen politischen Idee weitere Facetten und Schattierungen geben.

Dies gilt inhaltlich, aber auch kommunikativ. Mit Konstantin Kuhle hat die FDP einen ganz anderen starken Typen in der Öffentlichkeit als Christian Lindner. Das widerspricht sich nicht, aber Kuhle vertritt die junge Generation, wirkt unabhängiger, artikuliert sich weniger direkt, bekommt aber dafür viel Gehör. Ähnlich sehe ich es bei Johannes Vogel, Manuel Höferlin oder Dr. Lukas Köhler, der die Umweltthemen für die FDP weniger aufgeregt, weniger konfrontativ sondern eher argumentativ vertritt. Eine neue Generation, zu der auch Linda Teuteberg und Katja Suding gehören, bei denen mir bis heute aber etwas das klare politische Messaging fehlt. Generell wären mehr Frauen für die liberale Idee wünschenswert.

Zusammengefasst: Der Liberalismus hat einen Existenzkampf vor sich. Er kann nur dann überleben, wenn Programmatik und Personal überzeugen und persönlich binden können. Hierfür braucht die FDP eine klare Linie, die den Weg in die Zukunft weist und keine alten Kämpfe mehr führt. Junges Personal ist dafür zwingende Voraussetzung. Ein neuer Politikstil somit auch.

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