Influencer Marketing auf Instagram: Wie ein Bettlaken den Hashtag-Fake entlarvt

 In Allgemein

Influencer Marketing. Verkaufsschlager der aktuellen Social Media Phase. Der Begriff aus den frühen 2000er Jahren, den Consumer Companies wie Procter & Gamble geprägt haben, erlebt eine Renaissance. Diese gründet vor allem auf dem Bedeutungsgewinn von Kanälen wie YouTube, Instagram oder Snapchat. Jeder hat heute die Möglichkeit, eine große Fanschar hinter sich zu versammeln und somit zum Medium im Medium zu werden. Ab einer bestimmten Reichweite werden diese „Influencer“ dann für Unternehmen bzw. Marken interessant als Absender ihrer Werbebotschaften. Letztlich geht es vor allem um simples Product Placement.

Der Economist hat gerade aufgelistet, was Unternehmen bereit sind, „Influencern“ mit großen Reichweiten zu zahlen.

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Die Rechnung stimmt in der Praxis oftmals nicht. 

Die Rechnung scheint einfach: Möglichst glaubwürdiger, gefühlt privater Nutzer + soziale Reichweite = Influencer für meine Marke bzw. Produkte. In der Theorie alles schön. Bekanntester Name dieser Entwicklung hierzulande ist Sami Slimani alias Herr Tutorial, der eigentlich auf YouTube groß wurde. Ob Kosmetika, Technik oder Essen – Der Kollege Tutorial haut seiner Community alles um die Ohren. Und die jungen Teens lieben ihn. Nun weiß ich nicht, wie Sami Slimani im einzelnen seine Reichweite aufgebaut hat und wer von seiner Crowd am Ende die Produkte kauft. Aber was ich immer gesehen habe: Es gibt sehr hohe Abruf- und Interaktionsraten bei seinen Videos und Postings. Die Nutzer-Interaktionen scheinen echt. In seinem Fall stimmt an der Rechnung eher nicht: Privater Nutzer erzählt, was er gut findet. Denn klar ist mittlerweile allen: Professioneller Nutzer stellt vor, wofür andere bezahlen. Aber ok, das kann man unter Social Testimonial verbuchen. Und das kann durchaus funktionieren, wenn die Community das mitgeht.


Der wahre Fake passiert auf Instagram

Noch viel weniger geht die Rechnung aber bei den meisten Instagrammern auf. Ich bin mir nicht sicher, ob die Marketingverantwortlichen gerade verstehen, was da passiert. Um zu verdeutlichen, was ich meine, habe ich ein kleines Experiment gemacht. Ich setzte am Wochenende zwei Postings ab, die im Prinzip bedeutungsleer waren und versah diese mit angesagten Hashtags – allerdings ohne jeglichen thematischen Zusammenhang. Veröffentlicht habe ich Post 1 am Sonntag früh um 8:00 Uhr. Post 2 eine Stunde später. Jeweils mit gleichen Hashtags. Es waren meine zwei erfolgreichsten Postings der letzten Wochen. Ich selbst versammele keine 400 Follower hinter meinem Account, da ich ihn eher privat betrachte. Post 1 bekam über 70 Likes, Post 2 über 40. Für meine Verhältnisse eine kleine Sensation. Die Posts zeigen mein Bettlaken.

 

 

Erkenntnis 1: Die Likes kommen ganz schnell

Nahezu alle Likes, die die Postings bekamen, kamen innerhalb der ersten 15 Minuten. Der größte Teil unmittelbar nach Veröffentlichung.


Erkenntnis 2: Die Likes kamen nicht von meinen Followern

Nahezu alle Likes kamen von Nutzern, die mir nicht folgen und die ich nie gesehen habe. Sehr wohl aber von welchen, die in ihrer Ausrichtung zu einem der Hashtags passten.


Erkenntnis 3: Die Likes kamen aus dem Ausland

Mein Posting war so ein wenig im Sprachmix geschrieben. Die Hashtags eher international. Dennoch erstaunlich, dass so viele Likes aus Ländern kamen, bei denen aufgrund der Zeitverschiebung gerade die Nacht hereingebrochen war.


Erkenntnis 4: Die Kommentare ziehen nicht mit

Normalerweise ist es so: Ein Post löst Interaktionen aus oder nicht. Löst er sie aus, dann erfolgen diese Interaktionen in Form von Likes oder Kommentaren. Meist mehr Likes als Kommentare, klar, ist weniger aufwändig. Auffällig in meinem Fall aber ist, dass es gegenüber den Likes so gut wie gar keine Kommentare gibt.


Meine Schlussfolgerungen:

Wenn ich alle diese Dinge zusammenzähle, die ich seit Wochen auf Instagram beobachte und mit meinem Beispiel nur nochmal beweisbar machen wollte, dann stelle ich fest: Den überwiegenden Teil der Likes kann man getrost vergessen. Ich gehe davon aus, dass diese automatisiert generiert sind. Es findet definitiv kein Influencing statt. Die Nutzer wollen untereinander auf sich aufmerksam machen, weil alle ein gemeinsames Ziel verfolgen: Selbst eine größere Followerschar aufbauen, die sich monetarisieren lässt. Siehe Rechnung oben. Dabei mischen sich echte Nutzer mit Bots.

Dazu kommt dann der wahre Abrechnungsbetrug: Ausgehend davon, dass die Menge der Likes auch bei der Frage, was ein Product Placement kostet, eine Rolle spielt, bin ich also in der Lage, diese Reichweite rein technisch zu steigern. An dieser Stelle muss die Frage gestellt werden, wie die Followerzahlen der Influencer zustande kommen und wie ernst ich diese nehmen kann. Es ist davon auszugehen, dass diese Follower zu Teilen einfach gekauft und/oder eben über entsprechende taktische Postings indirekt generiert werden.


Marketers – denkt nach!

Ich kann verstehen, dass Marketingverantwortliche Messgrößen brauchen. Dass diese sich bei Instagram zu großen Teilen aus Followerzahl und Interaktionen zusammensetzen, ist zunächst logisch. Ich rate aber allen Entscheidern dazu, genau zu prüfen, inwiefern Community und Interaktionen sozusagen organisch echt sind und damit wirklich einen Influencing Factor besitzen – oder welche schlichtweg technisch generiert und damit im Effekt völlig wertlos sind. Ich gehe davon aus, dass zu Teilen weit mehr als die Hälfte der messbaren Zahlen völlig ohne echte Bedeutung sind. Hier muss auch bedacht werden, dass die Influencer zum Teil professionell vermarktet werden oder selbst so gut verdienen, das sie für sich selbst ein sehr professionelles Marketing aufsetzen können. Es gibt also im Hintergrund noch weitere Mitspieler, die an jedem Follower oder Like mehr mitverdienen.

Mittlerweile werden die Hashtags in Kommentaren unter dem Post bzw. abgesetzt im Posts – in jedem Fall aber außerhalb des Sichtfelds des Nutzers – platziert. Ja, man mag argumentieren, dass dies einfach besser aussieht. Ich halte entgegen, dass dies der Versuch ist, die technisch generierten Effekte zu verstecken.


Zusammenfassung:

Ich bin ein großer Fan davon, wirkliche Influencer und Multiplikatoren zu einem Teil des Marketings zu machen. Dies ist Teil des Medienwandels. Dies kann ganz wertvolle Effekte haben. Die wirklichen Influencer werden aber zunehmend dafür sorgen müssen, zu beweisen, wie „echt“ ihre Rolle ist. Sollte sich der aktuelle Trend, dass letztlich irgendwer mit etwas Geschick sich zum „Influencer“ macht und von Beratern und Agenturen gebucht wird, verfestigen, dann läuft die Branche in einen ähnlich nebulösen Bereich wie ins Mediageschäft. Die Marketers kommen vom Regen in die Traufe. Warum? Weil sie wie früher nach Schubladen-Messgrößen handeln. Sorry, so einfach ist es nicht!


Bildquelle: ovrgrnd.ca

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Showing 5 comments
  • Claudia
    Antworten

    Du hast #vegan vergessen, dann wäre das Bettlaken durch die Decke gegangen. 😉
    Scherz beiseite, interessanter Beitrag und spannende „These“. Das wird zu beobachten sein…

  • David
    Antworten

    Ein interessanter Test, der Bekanntes belegt. Aus diesem Grund wird bei Instagrammern immer ganz genau nachgesehen, welcher Art die Interaktionen sind.
    Die Sache mit den Hashtags mache ich selbst bei meinen Bildern meistens auch. Durch diverse Smartphone-Wechsel gerade keine Hashtagliste mehr vorhanden, daher reduziert, aber sonst hatte ich thematische Hashtag-Listen. Der Grund ist einfach: Mehr Exposure für meine Bilder, die dem Thema entsprechen (Kaffee!).

    Im Prinzip ist das aber nichts anderes als die Verschlagwortung von YouTube Videos mit optimierter Beschreibung, Titel und Thumbnail.

    Generell achten wir bei Influencern darauf, dass sie wirklich zu unseren Produkten passen und sich dafür begeistern. Idealerweise kein Geld fließt, sondern eher Barter-Deals.

    my 2 cents

  • Philip
    Antworten

    Es ist meistens ja auch schon sehr ausschlaggebend, wie die Accounts benannt sind, die einen Post dann liken oder einem folgen. „Get_New_Followers_Instant“ ist da kein ungewöhnlicher Name und macht sofort klar, welche Qualität hinter so einem neuen Follower steckt. Ist schon schade, wie stark da die Community inzwischen verwässert ist.

  • Rainer
    Antworten

    Danke. Cooler Artikel. Die Frage ist halt dann, wo man sonst (anstatt) Werbung platziert. Ist ja grundsätzlich nichts schlechtes. 😉

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  • […] bestimmte Produkte berichten, ist das ein garantierter Erfolg für das Produkt? Christian Henne schreibt, wie sein Bettlaken zum Hashtag-Star und was Sami Slimani damit zu tun […]

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